Helle Mittsommernächte, schroffe Inselwelten, weite Fjordtäler und türkisblaue Karibikstände. Eine Norwegen-Tour von den Lofoten zum Nordkap entführt in eine Landschaft von atemberaubender Schönheit.
Das Schauspiel der Mitternachtssonne ist am Nordkap einzigartig. Strahlend berührt sie am Horizont das Meer, färbt den Himmel blassrosa und klettert in einer sanften Welle wieder himmelwärts. Alle Fotos: Birgit Schaller
Bodø.
Regentropfen laufen wild durcheinander über die kleine Scheibe des Flugzeugfensters. Kaum 10 Meter neben einem unruhigen Meer mit dunkelgrauen schaumgekrönten Wellen setzt der Flieger ruckelnd auf der Rollbahn auf. Der hohe Norden begrüßt uns mit Schauern und gar nicht sommerlichen zwölf Grad. Ich schaue auf vom Wind zerfetzte Wolkentürme bis zum Horizont.
Die kleine Provinzstadt würde man schlicht übersehen, wäre sie nicht das Tor zur wildesten Naturschönheit im Nordatlantik, den Lofoten. Bodø ist eine Boomtown, erst kürzlich eröffneten ein Museum, eine moderne Bibliothek und bald gibt es ein neues Rathaus. Wir landen am Militärflughafen, der zivil genutzt wird. Er ist einer von 50 norwegischen Flughäfen, die tägliche Verbindungen anbieten, in einem Land mit unglaublich kurvenreichen Strecken voll Brücken und Tunnel, die sich von Fjorden zu Flüssen und Inseln schlängeln.
Bodø hat einen entzückenden Hafen und das beliebte wie belebte Bräuhaus Hundholmen Brygghus im modernen Fabrikstil, mit Blick auf das Meer und die nordische Inselwelt. Es ist das einzige Lokal, das der gleißenden Mitternachtssonne und dunklen Polarnächten gerecht wird, mit Öffnungszeiten „bis der letzte Gast das Lokal verlassen hat“.
Bodø - ein regnerischer Beginn in einer Kleinstadt im Norden.
Saltstraumen - gefährliche Strömung.
Wir trotzen dem Regen für ein erstes geniales Naturschauspiel: Saltstraumen. Der stärkste Gezeitenstrom der Welt gluckst, zischt und schäumt durch ngen, bleibt dabei wenige Sekunden vollkommen still, um mit 20 Knoten, fast 40 km/h, in die Gegenrichtung loszubrausen. Trotz strömendem Regen kann ich den Blick nicht abwenden, sind meine Sinne gefangen. Stehen und staunen vor der Urgewalt des Wassers und seinen malmenden, rotierenden, lebensgefährlichen Strömungen.
Überfahrt am Morgen.
Am nächsten Tag klart es auf. Wie von Zauberhand sind alle Wolken vom Himmel gefegt und die Sonne leuchtet in hellem Weiß. Es ist ein Weiß, das blind macht, das wir so in Mitteleuropa nicht kennen. Mit Sonnenbrille begegnen wir den kommenden Tagen, kaum ein Wölkchen ziert den Himmel und täglich 24 Stunden lang zieht die Sonne ihre wellenförmige Bahn ohne je hinter dem Horizont zu verschnaufen. Energie, die sich überträgt.
Langsam finden sich immer mehr Passagiere am sonnengefluteten Deck der Fähre ein, lachen und plaudern. Das norwegische Pärchen instruiert ein schwedisches über die nahen Inseln, der Kapitän trinkt scherzend Kaffee mit dem strohblonden Mat, eine deutsche Familie gestikuliert wild mit zwei japanischen Mädels, die Kameravollgas geben. Die Vögel, das Meer, die Inselchen seien ach so wunderbar. Versöhnt sind alle mit dem kühlen nordischen Wesen, der rauen Luft und den unbarmherzigen Himmelsbächen von gestern.
In der Ferne ragen schroffe Bergspitzen hunderte Meter aus dem spiegelglatten Wasser mit wenigen Flecken Schnee und viel Grün. Unnahbar, spröde und gar nicht sanft, aber kitschig wie im Bilderbuch, liegt sie vor uns: die Inselgruppe der Lofoten. Einen Grad nördlich vom Polarkreis und am äußersten Rand Europas gelegen.
Bilderbuchwetter am Weg von Bodø nach Moskenes.
Inselschönheit Lofoten.
Gleich nach der Ankunft in Moskenes verlieren sich die wenigen Fahrzeuge zwischen den Bergen. Aber schon nach zwei Kurven winken zwei Wanderer. Wir nehmen die beiden für fünf Kilometer mit, am Weg nach Å. Unsere neuen Mitfahrer sind müde und freuen sich auf ein zweites Frühstück, wir uns über Gesellschaft. Sie seien aus Oslo, jedes Jahr hier auf den Lofoten zum Wandern und das Wetter sei heuer genial. Beim Aussteigen verraten Sie uns ihr Ziel: die Bakeriet in Å mit ihren berühmten Zimtschnecken. Wenig später dampft eine Tasse Kaffee vor mir, daneben die süße Schnecke.
Å ist so schnell entdeckt, wie sein Name kurz ist. Å ist ein Seufzer, Aaaah, und das südlichste Fischerdorf der Inselgruppe. Es gibt alte Fischfabriken, einen Aussichtspunkt und Stockfischgalgen. Der Geruch von „Tørrfisk“, dem ältesten Exportgut des Landes, durchschneidet penetrant die frische Luft und frisst sich im Rachen fest. Italiener und lieben die Delikatesse Nummer eins der Lofoten. In Nigeria war der proteinreiche Fisch Medizin für die hungernden Kinder im Biafra-Krieg und wird bis heute in großen Mengen importiert.
Als wir tiefer in das Land eindringen, malen weiche Formen, Hügel und Täler ein neues Bild. Hingeworfen in Wellen, besänftigt grünes Land scharfkantige Gebirge. Dazwischen nicht enden wollendes Blau: Das tiefe Blau der Fjorde, das Türkisblau der weißen Karibikstrände des Nordens, das Schwarzblau der Bergseen. Dieses Land ist ein Wasserland. 2.500 Kilometer Küste sind in Wahrheit 15.000 Kilometer rechnet man alle Krümmungen des Landes und Inselküsten hinzu.
Wasser, die klarste Luft der Welt und schroffer Fels, daneben Tørrfisk - getrockneter Kabeljau in der Sonne.
Von Bergen und Stränden.
Nach jeder Kurve öffnet sich ein neuer unerwarteter Blick. Ich bekomme Lust zu wandern, will Kajak fahren. Ein Abenteuer muss her. Liv, die in der Kaffebar Bringen bedient, hat einen Tipp. Wenig später bin ich am Weg zum Gipfel des nahe gelegenen Ryten. Über Felsen, Holzstege und Sommerwiesen geht es hinauf. Ich bin nicht allein unterwegs, aber oben ist für jeden Platz im weichen Moos. Still starren die Gipfelstürmer von 800 Metern auf hingespuckte Seen und den aquamarinfarbenen Kvalvika Beach. Wo schroffe Felsen direkt zum Meer abfallen, erklimmt das Schlagen der brechenden Wellen den Berg.
Menschen und Mächte.
In der Ferne malt der Horizont mit seiner feinen Linie die Krümmung der Erde ins Wasser. Hier sind sie alle vorbeigesegelt, Jules Vernes als friedlicher Erkunder, der Nordkap-Entdecker Richard Chancellor und im 2. Weltkrieg die Kriegsschiffe der Deutschen und Engländer, die sich in den nördlichsten Fjorden des Landes versteckten und bis zum Sinken der riesigen Kriegsschiffe und dem Tod tausender Männer bekämpften. Auch hier schmerzt manche Erinnerung.
Einige Kilometer landeinwärts beim Vikingmuseum, ein alter Häuptlingssitz der Wikinger im Weiler Borg, wurden bei Ausgrabungen die Reste eines Langhauses gefunden und dieses nachgebaut. 115 Höfe standen hier im 5. Jahrhundert und 1.800 Wikinger lebten über hunderte Jahre friedlich in der Ebene. Hier haben sie sich heimisch gefühlt, die rotbärtigen oft so kriegerischen Riesen, bald darauf auch die ursprünglich aus dem Uralgebiet stammenden Samen, die als erste nach der letzten Eiszeit eingewandert sind. Besuchern werden neben der Besichtigungstour auch Outdoor-Aktivitäten wie Bogenschießen, Axt- und Hufeisenwerfen angeboten.
Unstad - Geheimtipp für Backpacker.
Unstad, im Norden der Insel Vestvågøy, ist ein Geheimtipp für Backpacker, attraktive Beachboys und Hippies mit Zelt am Autodach und Joint am Lagerfeuer. Erst um Mitternacht kehren die Surfer vom Meer zurück und eine Gruppe Fischer stapft in kniehohen Stiefeln und Ölzeug mit vollen Kübeln vorbei. Der Massentourismus ist anderswo. Im Hotel und Restaurant Unstad Arctic Surf, umgeben von einer schützenden Bergkette mit weitem Blick aufs Meer, nehmen wir ein besonderes Abendessen: Hvalkjøtt Stuing, zu deutsch Walfischfleischeintopf. Schmeckt wunderbar, mehr nach Wild als Fisch. Dazu gönnen wir uns ein Bier, aber nur das kleine Glas; das kostet schon 10 Euro. Alkohol im hohen Norden hat seinen Preis.
Von dem Städtchen Å, Unstad Strand bis zum Blick Kvalvika Beach - Wasser und Naturwunder wohin das Auge blickt. Dazu gibt es ausnahmsweise Hvalkjøtt Stuing - Walfischfleischeintopf.
Königliches Henningsvær.
Es ist ein Uhr nachts und taghell, als wir endlich in einer ehemaligen Fischfabrik zwischen drei Brücken am Ortseingang von Henningsvær ins Bett fallen. Frühmorgens ist der Himmel mit Wolken bedeckt, einige Regentropfen fallen, wir atmen frische arktische Luft. Es gibt ein typisches Frühstück mit viel Lachs, Makrelen, Heringssalaten von fruchtig-süß bis salzig mit Mayonnaise und Kaviar.
Henningsvær ist ein Mini-Venedig im Norden, das sich bei nun knallblauem Himmel von seiner schönsten Seite zeigt und uns eine wahrlich königliche Überraschung bereiten wird. Im Hafen liegt ein elegantes altehrwürdiges Schiff. Die Reling ist leer, die schmale Holzlandebrücke wird von einer jungen Kadettin mit strengem Blick bewacht. Doch im Gespräch wird die 20-jährige Vigil lebendig. Ja, meint sie eifrig, hier liegt die „Norge“, das Schiff von Königin Sonja und König Harald V. von Norwegen, an den Leinen. Sie leistet am Schiff 12 Monate Grundwehrdienst ab. Vigil ist so begeistert, dass sie plant weiter dem Land zu dienen, sie will zur Polizei.
Henningsvaer lässt sich fein zu Fuß erkunden. Ein Highlight ist die Galerie Lofotens Hus. Besten Barista-Kaffee gibt es im Event-Café Trevere Fabrikken. Faszinierend ist die kleine feine „Kaviar Factory“, ein Museum für moderne Kunst. Ich gehe durch die Räumlichkeiten, aktuell mit Fotografien der Ausstellung „Creations of a Moment“. Ausdrucksstarke Porträts eines jungen missbrauchten Mannes, der seinen pädophilen Peiniger ermordet hat, hängen neben einer nackten Frau mit Kind.
Plötzlich flüstert mir eine Frau mit langen Locken zu: „Bitte verlassen sie jetzt die Galerie.“ Irritiert stöbere ich wenig später im Shop als eine kleine Gesellschaft an mir vorbeizieht. Die Verkäuferin zwinkert mir verschwörerisch zu, da dämmert es mir, denn eine Dame unter ihnen wirkt wahrhaft königlich. Sie steht neben mir, klein, superschlank und top gestylt im schicken roten Hosenanzug. Die attraktive Königin Sonja von Norwegen ist 82 und sieht aus wie 65. Sie lächelt mir zu und wir gehen weiter. Henningsvær ist einfach königlich.
Das entzückende Venedig des Nordens, das kleine Städtchen Henningsvær beschert mir nicht nur wunderbaren Kaffee in der Trevare Fabrikken, sondern auch einen Blick auf die königliche Yacht und schließlich sogar einen gar königlichen Galeriebesuch - die Dame in Rot ist Königin Sylvia von Norwegen.
Suchbild: Findet ihr mich auf meinem Ausichtsplatz?
Little Hawaii.
Die Insel heißt eigentlich Skrova Island und ist von der Lofoten-Hauptstadt Svolvaer nur eine halbe Stunde entfernt. Skrova verführt mit Wanderwegen durc
h kniehohe Blumenwiesen und Birkenhaine, die hier mehr Sträucher als Bäume sind. Die versteckten Inselstrände sind von strahlend weißem zerriebenem Muschelsand und schenken dem Wasser eine türkisblaue Farbe. Es ist wirklich Little Hawaii. Ich tauche ins kühle Wasser, das sich anfühlt wie ein Gebirgsbach. Doch heute ist es heiß, 25 Grad. Ich bin allein, lausche dem Plätschern der Wellen und dem Vogelgezwitscher. Kontemplation pur.
Plötzlich steht Nils vor mir. Er ist riesengroß und schlaksig, seine Wangen liegen tief, er trägt Shorts, Sonnenbrille und Hut. „Weißt Du, die Menschen hier sind sehr offen. Wir heißen alle willkommen“, sagt er und erzählt mir einfach so von seinem Leben auf der Insel. Er deutet auf ein skandinavisches Holzhäuschen mit hellen Schindeln, „es ist sehr einsam im Norden, deshalb bitten wir Fremde oft herein. Besonders im Winter
ist die Atmosphäre ganz eigen, wenn die Sonne nicht über den Horizont kommt, der Himmel zwischen schwarz, dunkelblau und orangerot in der Dämmerung wechselt und nur manchmal vom Nordlicht weiß und grün erhellt wird. Unser Leben spielt sich drinnen ab – im Winter und im Sommer. Ich sitze oft stundenlang vor dem glühenden Ofen und sehe dem verrückten Wetterschauspiel zu. Es schneit, es regnet, der Wind peitscht gegen das Fenster“, nachdenklich siniert er, fragt wo ich herkomme. Dann nimmt er sein Kajak, lächelt und paddelt davon.
Der schönste Tag auf den Lofoten war auf "Little Hawaii". Skrova Island ist karibisch mit türkisem Meer und traumhafter Kulisse. Da wagt man sich auch bei 18 Grad Wassertemperatur in die Wellen - draußen hatte es dann wieder 25 Grad und das bei 24 Stunden Sonnenschein!
Svolvær am Trollfjord.
Zurück in der Stadt Svolvær mit ihren 4.700 Einwohnern gibt es ein reges Treiben am Torge, dem Hauptplatz. Besuchen kann man das Kriegsmuseum. Zu sehen ist hier ein von Adolf Hitler gemaltes Bild von Schneewittchen und den sieben Zwergen für „seine“ Eva. Im Rathaus ist das berühmte Bild der Schlacht am Trollfjord „Trollfjordslaget“ von Gunnar Berg zu sehen.
Den Trollfjord besuche ich mit einem Schnellboot im wetter- und winddichten Onesie. Der Fjord ist von pittoresker Schönheit mit diamantengleich glitzernden Gletschern, steilen Felswänden und Wasserfällen, die in ein hunderte Meter tiefes Meer stürzen. Zu empfehlen sind die Touren mit Wildseas, gegründet von zwei Kanadiern, die ihr Leben als Angestellte an den Nagel gehängt haben, um naturnahe Ausflüge, Trekking und Abenteuer anzubieten.
Unser Guide, der junge Schotte Duncan erzählt Trollmärchen und davon, warum heuer 80 Prozent der Lachse sterben mussten: Das Meer ist zu warm, deshalb wucherte die Mikroalge Chrysochromulina. Die Alge gibt bei der Zellteilung ein Gift ab, das die Kiemen der Lachse angreift. Die Tiere ersticken qualvoll. Eine dramatische Folge des Klimawandels.
Über den Trollfjord lässt sich so manche trollige Story zu erzählen.
Norden. Gedicht von Rolf Jacobsen.
Schau öfter nach Norden.
Geh gegen den Wind, das gibt rotere Backen.
Such den unwegsamen Pfad. Folge ihm.
Er ist der kürzere.
Norden ist am besten.
Des Winters Flammenhimmel,
der Sommernacht Sonnenmirakel.
Geh gegen den Wind.
Steig auf Berge.
Schau nach Norden.
Immer wieder.
Dieses Land ist lang.
Das meiste ist Norden.
Tromsø- Stadt des Nordens.
Später erreichen wir die größte Stadt des Nordens. Nach Tromsø locken Mittsommernächte und die Nordlichter, Bergwanderungen und Hundeschlittenfahrten. Der Golfstrom hält den Hafen eisfrei, auch bei minus 20 Grad. Im Winter kommen die Nachteulen, sie folgen Nordlicht-Jägern in Schnee und Kälte auf der Suche nach den magischen grünen und weißen Himmelsspuren.
Im Sommer freuen sich Sonnenanbeter. Viele kommen und gehen mit den Schiffen der Hurtigruten. Auch wir genießen das Treiben in der Studentenstadt. Mächtig und imposant ist am Ortseingang die Arctic Chapel mit ihrer gletschergleichen Form. Sehenswert im Zentrum ist das gläserne Radhus. Lehrreich wird es im Polar Museum. Sehr fein ist ein Drink in der Skybar des Hotels Clarion.
Ein Besuch in der Skybar des Hotel Clarion ist einen Absacker um 2 Uhr morgens wert - mit Blick auf die Eismeerkathedrale, die einem Gretscher nachempfunden ist.
Wasserfall Målselvfossen.
Der intensive Kontakt mit der Natur lässt die Unruhe der Stadt schnell vergessen. Målselvfossen ist ein Wasserfall der Superlative. Wassermassen donnern über den Hügel. Der lachsreiche Fluss bietet ein wildes Schauspiel. Kälte schlägt uns ins Gesicht. Es braust der Fluss vor seinen Schnellen, es brodelt meterhohe Gischt, Regenbogen leuchten. Es ist eine Kraft, die alles mit sich reißt. Einzig Lachse schwimmen hier stromaufwärts über geschaffene Treppen. Bis zu einem Meter lang werden die starken Tiere, die tausende Kilometer zurücklegen und mit stählernem Blick gegen den Strom schwimmen, vom Salz zurück ins Süßwasser weit im Landesinneren. Dort werden sie laichen und sterben.
Felsritzungen in Alta.
Die Fahrt nach Alta ist unendlich lange, die Größe Norwegens wird fühlbar. Aber die Landschaft ist einfach so wunderschön, nach jeder Kurve entfaltet sich das großartigste Panorama überhaupt, wieder und wieder. Man leidet gerne an dieser gefühlten Unendlichkeit, wie es die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann gesagt hat. Die Dimensionen sind unfassbar. Der Dampfer wird zur Nussschale, die Halbinsel zum Pünktchen in den Weiten. Direkt neben der Straße rasen Wasserfälle ins Nichts.
Langsam werden die schroffen Felsen weniger, die Berge höher, die Gletscher mächtiger und die Täler weiter. Es sind U-Täler, die vor tausenden Jahren niedergedrückt waren von einer 3000 Meter starken, tonnenschweren Eisschicht. Dann begann das Eis zu schmelzen und ein glattgeschliffenes Land erhob sich. Mit dem Schwinden des Eises kamen die ersten Menschen. Ihre Geschichten zeigen Felszeichnungen im archäologischen Museum Alta.
Pfade und Holzstege im Park führen zu den 6000 Ritzungen, die zwischen 7000 und 2000 Jahre alt sind. Sie zeigen Jäger der Steinzeit, die Bären, Wölfe und Elche mit Pfeil, Bogen und Hacken töten, Rentiere mit kleinen Babys im Bauch, spirituelle Motive, den ersten schifahrenden Homo Sapiens und Wikingerschiffe. Das Museum beeindruckt auch Indoor mit Einblicken in die Geschichte der Samen, zu Nordlicht und zum Sport- und Lachsfischen.
Beeindruckend ist auch die Nordlicht Kathedrale - innen wie außen ein modernes Meisterwerk.
Vogelsafari in Gjesvær.
Es ist früh am Morgen. Einzig das Kreischen der Möwen ist zu hören. In Gjesvær stehen ein paar einsame Häuser und Olats Schiff für die Birdsafari. Hier, ein paar Kilometer westlich vom Nordkap ist es karg und leer. Die Meeresbucht ist still wie ein See. Ein Papageientaucher tümpelt ein paar Sekunden an der Wasseroberfläche, um für Minuten in der Tiefe zu verschwinden, auf der Suche nach Futter für seine Brut. Auf den Felsen des Gjesværstappen, draußen wo uns die Wellen wilder schaukeln, hocken Kormorane, Eissturmvögel und hunderte dunkelbraune Seetaucher, die ihre Schwingen zum Trocknen der Sonne entgegenstrecken. Plötzlich recken Seehunde ihre Nasen aus dem Wasser. Alle stürzen an die Reling.
Ein Stück weiter sitzt er dann. Den gebogenen Haken gräbt er tief in seine langen braunen Federn. Dann hebt er ab, der König der Lüfte. Zwei Flügelschläge und er schwebt über allen. Der Seeadler. Der elegante Flieger hat bis zu zweieinhalb Meter weite Schwingen, die er kaum bewegt. Er gleitet mit dem Wind. Fast die Hälfte der Population Europas lebt hier. Im Sommer mag er das frische Vogelfleisch lieber als den schwer zu erhaschenden Fisch im tiefen Blau. Weiter vorne sitzt einer am Felsen, gierig verzehrt er sein Mittagsmahl.
Eine wunderbare Schifffahrt zur größten Seeadler-Population Europas.
Das Nordkap - Grande Finale.
Es geht weiter Richtung Norden, dorthin, wo es karg ist und leer. Ich fühle eine unheimliche Einsamkeit oder ist es entspannende Gedankenlosigkeit? Es ist frisch geworden. Trotz Windjacke und Haube kriecht selbst bei Sonnenschein mitunter auch im Juli die arktische Kälte in die Knochen.
Das Nordkap ist ein 307 Meter über dem Meeresspiegel gelegenes Schieferplateau auf der Insel Magerøya. Viele sind heute an das vermeintliche Ende der Welt gekommen, denn der Himmel ist wolkenlos. Dichtes Gedränge beim Aufwärmen im modernen Erlebniszentrum der Nordkaphalle, die bis zu tausend Menschen Abwechslung bietet. Neben Restaurant und Bar gibt es einen unterirdischen Tunnel, eine Kapelle, ein Panoramakino, eine Nordlichtausstellung und eine zur Zerstörung des deutschen Kriegsschiffs „Scharnhorst“ durch die Engländer nahe dem Kap.
Hoffnung schenkt draußen das Denkmal „Kinder der Welt“: eine Mutter umgeben von überdimensionalen Kupferplatten bedruckt mit realen Zeichnungen von Kindern aus sechs Kontinenten.
00:33 Uhr. Sonnentiefststand. Alle stehen im brüllenden Wind, suchen nach den besten Fotoplätzen beim gusseisernen Globus und wollen sehen, wie die Sonne den Horizont rosa einfärbt und berührt, um langsam wieder am Himmelszelt hochzusteigen. Blickt man auf den Atlantik, dorthin wo sich Himmel und Meer treffen, kommt lange nichts, dann Spitzbergen und nach 2.000 Kilometern der Nordpol. Sanft fließen sein großen Wellen ohne Schaumkronen her und wieder fort und ich spüre einen Hauch Unendlichkeit am 71. Breitengrad, hier am nördlichsten Ende unseres Kontinents.
Erstveröffentlicht in gekürzter Version in Auto Touring: https://www.oeamtc.at/autotouring/reise/norwegen-reise-zur-mitternachtssonne-35385997
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